Das Paris-Syndrom

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Der Jardin des Tuileries

Wie kann man behaupten über Paris zu schreiben ohne die Stadt an der Seine vier Jahre nicht zu erwähnen? Manchmal braucht man einfach eine Pause von seiner Passion – dann kommt sie auch irgendwann zurück. Die Geschichte meines persönlichen Paris Syndroms.

Paris mon amour – mein Leben lang war ich besessen von Frankreichs Hauptstadt. Ich glaube ich wurde sogar frankophil geboren: Als Kind verbrachte ich jeden Sommer in Frankreich. Meine früheste Kindheit auf Korsika, und später war ich Sommer für Sommer in der Bretagne. Dann kam Paris. Paris war eine große wilde Liebe, eine unerfüllte Sehnsucht und ein Navigator. Brutal und bezaubernd schön. Kurz bevor mein Mode-Studium in Berlin zu Ende ging war für mich klar: Wenn ich nicht im deutschen Fashion-Pief untergehen wollen würde (2009 sah es hier tatsächlich bescheiden aus) musste ich nach Paris. Und zwar sofort.

Pariser Dealer auf Mopeds

Meine 45 Quadratmeter im Prenzlauerberg tauschte ich beseelt von der morbiden Schönheit meines neuen Zuhauses gegen ein 12 Quadratmeter Kabuff im 4. Arrondissement. 5 mal so klein, dafür 10 mal so teuer, die Dealer auf ihren Mopeds vor der Tür – pas de problème für mich damals. Den Preis für Glamour und die große weite Welt zahlte ich gern. Bereut habe ich keinen chicen Cent bisher.

So weit ich weiß gibt es im Deutschen keine Bezeichnung für Menschen die unter chronischem Fernweh leiden. Symptome dieser Fernweh-Krankheit äußern sich wie folgt: Rastlosigkeit, permanentes in der Zukunft leben, Pläne schmieden und anderen Leuten auf die Nerven gehen. In Paris war ich das erste Mal in meinem Leben Beschwerde frei. Ich liebte jede Ecke dieser Stadt, den Geschmack von buttrig weichen Croissants am Morgen und pappigen kalten Sandwiches am Mittag. Billiger Rosé schmeckte nur in Paris, genau wie Sushi-Dinner ohne Plus One. Und nirgendwo auf dieser Welt hatten die Frauen in meinen Augen mehr Stil, die Wohnungen mehr Charme und die Modeszene das Recht arrogant zu sein.

Fernweh-Patientent sitzen immer auf gepackten Koffern

L’être qui ne vient pas souvent à Paris ne sera jamais complètement élégant.

Honoré de Balzac

Fomo deluxe

Doch irgendwann war vorerst Schluss mit meinem Leben als Wahl-Parisienne. “Wenn du wirklich schreiben willst, musst du zurück nach Deutschland und da ein Volontariat” machen” riet mir meine damalige Chefin. “Danach kommst du zurück”. Next stop: München, dann Offenburg, dann wieder München. Mein Umzug in den Süden brachte meine Fernweh-Krankheit erneut zum Ausbruch. FOMO deluxe. Je länger ich aus Paris weg war, desto dringender wollte ich zurück. Mein gesamtes Volontärsgehalt floß in Paris-Trips. Ich lebte im Thalys und Micro-Airbnb-Apartments, hangelte mich von Kurzurlaub zu Kurzurlaub.

Als ich wenig später als Redakteurin für die ELLE arbeitete stürzte ich mich auf jedes Frankreich-Thema, benutzte maximal viele französische Ausdrücke in meinen Texten, so dass ich dafür schon einmal Tadel bekam und erfand die Serie “Le French Freak” – und zwar bevor der ganze Hype um die Französinnen losging. Caroline de Maigret, Phillipe Stark, die Designer von Pallas Paris, Fanny Moizart von VestiaireCollective und, und, und.. Jeder, der irgendwas mit Frankreich am Hut hatte, wurde von mir interviewed.

Irgendwann entdeckte ich dann einen meiner Artikel quasi eins zu eins auf einer anderen Plattform kopiert. Ernüchternd. Aber dann wiederum: Who cares? Französinnen-Artikel überfluteten das Internet wie die Seine die Metro-Stationen im Januar 2018. Parisienne-Influencerinnen mit den gleichen Apartments, der gleichen Frisur und den gleichen koketten Posen. Fashion-Weeks wie Rosenmontagsumzüge. Diese Art von Paris war trendy, kurz danach maximaler Mainstream. Und für mich wie ein zu lange gekautes Kaugummi.

Das Paris-Syndrom in Berlin

Paris ist für mich seitdem on hold. Meine Obsession ist abgekühlt. Ich war zuletzt 2017 dort. So lange weg war ich noch nie. Wächst man aus seinen Obsessionen irgendwann heraus? Werden sie fahl, wenn plötzlich mainstream? Oder ist es der erste Realitätscheck in den frühen 30gern? Who knows.. Von unserer Charlottenburger Wohnung schauen wir auf eine wunderschöne Hausfassade. Sieht aus wie in Paris finde ich. Überhaupt Charlottenburg, die Fasanenstraße, die Paris Bar – alles erinnert an die Stadt. Einen Paris-Tick wird man nicht mehr los. Man nennt es auch das Paris-Syndrom.

„Wenn Du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu sein, dann trägst Du die Stadt für den Rest Deines Lebens in Dir, wohin du auch gehen magst, denn Paris ist ein Fest fürs Leben.“

Ernest Hemingway

Der Autor

Anna Ostrowski arbeitet als freie Stil-Journalistin in Köln. Zuletzt war sie Head of Content und Editor in Chief des Burda Ventures SHOWROOM in Berlin. Zuvor arbeitete sie über sechs Jahre bei der Zeitschrift ELLE in München.